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Pension Herter – ein Rückblick
Donnerstag, den 4. Mai 1911
Ein Rückblick
Dieser Tage ging die Leitung eines altbekannten Bernerhauses in andere Hände über.
Es ist wohl angebracht, bei dieser Gelegenheit durch einige Worte auf die grosse Vergangenheit derselben zurückzublicken.
In der weit über die Schweiz wohlbekannten Pension Herter an der Kramgasse im Zunfthaus zum Affen, welche sich weit über 80 Jahre lange stets unter der Leitung der gleichen Familie, Herter und Simon-Herter befand, zog sich die bisherige Leiterin, Frl. Dora Simon aus Gesundheitsberücksichtigungen zurück. Es wird besonders diejenigen Kreise interessieren, welche in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts als Jeunesse dorée in der Pension Herter ihr Rendez-vous hatten.
Wer erinnert sich noch der brillanten Redouten im Erlacherhof und der grossartigen Bälle im Hotel de Musique (Stadttheater) [Theaterplatz 7, heutige Restaurant Du Theâtre, Grande Société de Berne] der vierziger Jahre? Wer denkt noch an die imposante Einweihungsfeier der Nydeckbrücke, welche in den Räumen des Hotel de Musique mit grossem Bankett stattfand und zu der die Pension Herter das Menu lieferte, ein Menu, das der Aufnahme in den Grundstein der Nydeckbrücke gewürdigt wurde.
Welches Rénomées sich die Pension Herter mit ihrer anerkannten guten Küche, in der Frau Herter das Szepter führte, erfreute geht daraus hervor, dass die ersten Patrizierfamilien ihre Familiensoireen, Hochzeiten und andere festliche Anlässe daselbst abhielten.
In den fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre war die Pension Herter dann der Sitz des von dem Grafen Simeon [Graf Joseph Henri Edgar Siméon] geleiteten diplomatischen Klubs, welcher dort seine täglich Dinertafel abhielt an welche sich dann im Spielsaal ein Spielchen anschloss. In den festlich hergerichteten Prunkräumen des Klubs gab alljährlich das diplomatische Korps … Bankette, wobei es hoch herging und bei welchen Gelegenheiten die Auffahrt der Staatskarossen der Herren Diplomaten sowie der vornehmen Gesellschaft von Bern vor der Pension Herter der Kramgasse, der jetzt noch schönsten Strasse der Altstadt, ein vornehmes Gepräge verlieh.
In den siebziger Jahren wurden dann die Jeudi und andere Soireen in der Pension Herter abgehalten, nicht zu vergessen die alljährlichen Zunftessen der Gesellschaft zum Affen. Auch die Offiziere der napoleonischen Schweizerregimente verbrachten oft ihre Ferien in der Pension Herter. Tempi passati!
Seit dem Anwachsen des Fremdenverkehrs ist die Pension meist das Stelldichein englischer und amerikanischer Gäste geworden, welch letztere namentlich den hohen, geräumigen Zimmern des alten Patrizierhauses den Einrichtungen der modernen Hotel den Vorzug gaben.
Nun hat die letzte Leiterin der Pension aus der Familie Simon ihren Wirkungskreis verlassen, nachdem sie das Geschäft ein Menschenalter hindurch nach den vornehmen Traditionen ihrer Vorgänger geführt hat. Möge ihr noch ein langes und glückliches Leben beschieden sein.
Autor: unbekannt
Quelle: Dieser Text wurde der Zunft zur Verfügung gestellt von Vreni Steffen-Steinegger, deren Mann mütterlicherseits von Carl und Marie Simon-Herter abstammt, dem letzten Wirte-Ehepaar der Pension Herter (April 2022).